B u n d e s s t r a f g e r i c h t T r i b u n a l p é n a l f é d é r a l T r i b u n a l e p e n a l e f e d e r a l e T r i b u n a l p e n a l f e d e r a l
G esc h äf ts num m er: BG .2 0 0 5. 1 5
Entscheid vom 16. Juni 2005 Beschwerdekammer
Bundesstrafrichter Emanuel Hochstrasser, Vorsitz,
KANTON AARGAU, KANTON BERN,
Bestimmung des Gerichtsstandes i.S. A.______ und
Sachverhalt:
Wegen Handels mit grossen Mengen von Cannabis und Kokain führen die
zuständigen Behörden des Kantons Bern unter dem Operationsnamen
C.______ seit Mai 2003 eine umfangreiche Untersuchung gegen einen tür-
kisch-albanischen Drogenring, in dessen Zentrum ein gewisser D.______
steht und wozu der für das vorliegende Verfahren relevante E.______ ge-
hört (Beilage zu BK act. 1, Kantonspolizei Aargau Ordner 1, Reg. 1,
Schlussbericht vom 20. März 2005, S. 2). Im Rahmen dieser Ermittlungen
stellte sich heraus, dass mutmasslich E.______ Mitte August 2003 einen
weiteren Transport harter Drogen vom Kosovo in die Schweiz arrangierte,
wobei A.______ den Stoff in der Nacht vom 17./18. August 2003 als Kurier
in die Schweiz gebracht haben soll (Beilage zu BK act. 1, Kantonspolizei
Aargau Ordner 1, Reg. 1, Schlussbericht vom 20. März 2005, S. 3; Beilage
zu act. 1, Kantonales URamt Bern D 92/03 Ordner I, Reg. E.______, TK-
In der Folge wurde im September 2003 auf Veranlassung des zuständigen
Untersuchungsrichters in Bern im Kanton Aargau eine Telefonkontrolle des
Anschlusses vom im Kanton Aargau wohnsässigen A.______ angeordnet
und durch die Kantonspolizei Aargau betreut. Ferner wurde in die Überwa-
chung der ebenfalls im Kanton Aargau wohnhafte B.______ miteinbezo-
gen. Die Ermittlungen der Kantonspolizei Aargau kamen zum Ergebnis,
dass nur A.______ Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz
vorzuwerfen sind, während sich der anfängliche diesbezügliche Verdacht
gegen B.______ nicht erhärtet hat. Demgegenüber brachte die Untersu-
chung zu Tage, dass B.______ mutmasslich von A.______ angestiftet wur-
de, seinem Arbeitgeber – der Firma F.______ AG in Z.______/AG – Viagra
in grosser Menge zu entwenden und dasselbe anschliessend an A.______
zu verkaufen (vgl. zum Ganzen Beilage zu BK act. 1, Kantonspolizei Aar-
gau Ordner 1, Reg. 1, Schlussbericht vom 20. März 2005, S. 4 ff.).
Mit Schreiben vom 24. März 2005 ersuchte das Bezirksamt Rheinfelden
den Generalprokurator des Kantons Bern um Prüfung der Gerichtsstands-
frage betreffend A.______ und B.______ (BK act. 1.1). Die ersuchte Be-
hörde lehnte eine Übernahme mit Schreiben vom 18. April 2005 ab (BK act.
1.2). Ein weiterer Schriftenwechsel zwischen der Staatsanwaltschaft des
Kantons Aargau und der Generalprokuratur des Kantons Bern brachte kei-
Mit Gesuch vom 9. Mai 2005 wendet sich der Kanton Aargau an das Bun-
desstrafgericht und verlangt, die Behörden des Kantons Bern seien zur ge-
samthaften Verfolgung und Beurteilung der beiden Beschuldigten für be-
rechtigt und verpflichtet zu erklären (BK. act. 1).
Mit Stellungnahme vom 23. Mai 2005 beantragt der Kanton Bern demge-
genüber, der Kanton Aargau sei zur gesamthaften Verfolgung und Beurtei-
lung von A.______ und B.______ für berechtigt und verpflichtet zu erklären
Ein weiterer Schriftenwechsel wurde nicht durchgeführt.
Auf die Ausführungen der Parteien sowie die eingereichten Akten wird, so-
weit erforderlich, in den rechtlichen Erwägungen eingegangen.
Die Beschwerdekammer zieht in Erwägung: 1.1 Die Zuständigkeit der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts zum
Entscheid in Verfahren betreffend Gerichtsstandsstreitigkeiten ergibt sich
aus Art. 351 StGB i.V.m. Art. 279 Abs. 1 BStP und Art. 28 Abs. 1 lit. g
1.2 Die Staatsanwaltschaften des Kantons Aargau sowie die Generalprokuratur
des Kantons Bern sind nach ihrer kantonsinternen Zuständigkeitsordnung
berechtigt, bei interkantonalen Gerichtsstandskonflikten ihre Kantone nach
aussen zu vertreten (SCHWERI/BÄNZIGER, Interkantonale Gerichtsstandsbe-
stimmung in Strafsachen, 2. Aufl., Bern 2004, S. 213, Anhang II). Der zwi-
schen den Parteien geführte Meinungsaustausch führte zu keiner Einigung
(SCHWERI/BÄNZIGER, a.a.O., S. 195 N. 599). Eine Frist für die Anrufung der
Beschwerdekammer besteht für die Kantone im vorliegenden Fall nicht
(SCHWERI/BÄNZIGER, a.a.O., S. 200 N. 623). Die Vorbringen des Ge-
suchstellers zur Sache und der Aktenstand sind ausreichend, um den Ge-
richtsstand für die Strafverfolgung gegen die Beschuldigten zu bestimmen.
2.1 Der Gerichtsstand bestimmt sich nach jenem Tatbestand, welcher einem
Täter vorgeworfen wird. Die Beschwerdekammer hat bei der Entscheidung,
welcher Kanton zur Führung eines Strafverfahrens zuständig ist, von der
Aktenlage auszugehen, welche zum Zeitpunkt ihres Urteils gegeben ist
(SCHWERI/BÄNZIGER, a.a.O., S. 24 f. N. 62 mit Hinweisen; vgl. der Ent-
scheid der Beschwerdekammer BK_G 233/04 vom 22. Januar 2005 E. 3.1).
2.2 Nach Massgabe der Akten haben die Beschuldigten ihren Wohnsitz im
Kanton Aargau (BK act. 1). Weiter ist den Akten zu entnehmen, dass
A.______ einerseits des Transports von Betäubungsmittel vom Kosovo in
die Schweiz oder nach Deutschland (BK act. 1, 1.1, 1.2, 1.3, 1.4 und 4) und
andererseits des Handels mit Viagra sowie der Anstiftung des Diebstahls
von Viagra verdächtigt wird. Demgegenüber werden B.______ gemäss
heutiger Aktenlage lediglich der Diebstahl und der Handel mit Viagra vor-
geworfen. Die Geschehnisse im Zusammenhang mit dem Diebstahl von
Viagra sowie dem Verkauf desselben von B.______ an A.______ haben
sich auf Gebiet des Kantons Aargau abgespielt, wobei letzterer das Viagra
mutmasslich auch im Ausland vertrieben hat (Beilage zu BK act. 1, Kan-
tonspolizei Aargau Ordner 1, Reg. 1, Schlussbericht vom 20. März 2005, S.
14 f.). Diese Tatsachen werden von den Parteien ebenso wenig bestritten
wie der Umstand, dass die Gesuchsgegnerin die Strafverfolgung gegen
A.______ und B.______ wegen Betäubungsmitteldelikten zuerst anhob,
und die Gesuchsgegnerin für die Verfolgung und Beurteilung der Straftaten
von E.______ und dessen Umfeld zuständig ist (BK act. 1, 1.1, 1.2, 1.3, 1.4
2.3 Uneinigkeit herrscht zwischen den Parteien hinsichtlich der Zuständigkeit
für die Verfolgung und Beurteilung der mutmasslichen Straftaten von
A.______ und B.______. Der Kanton Aargau argumentiert, A.______ und
B.______ seien Mittäter von E.______ (BK act. 1), während Bern geltend
macht, A.______ und B.______ können nicht der Bande um E.______ zu-
gerechnet werden, und zudem bestehe bei dem fraglichen Drogenimport
kein mittäterschaftliches Verhältnis (BK act. 4). Diese Frage wird im Fol-
3.1 Nach Massgabe von Art. 346 StGB sind für die Verfolgung und Beurteilung
einer strafbaren Handlung die Behörden des Ortes zuständig, wo die straf-
bare Handlung ausgeführt wurde. Wenn an der Tat mehrere als Mittäter be-
teiligt sind, wird die Straftat gemäss Art. 349 Abs. 2 StGB von den Behör-
den desjenigen Ortes verfolgt und beurteilt, wo die Untersuchung zuerst
Nach der Rechtsprechung ist Mittäter, wer auf der Grundlage eines ge-
meinsamen Tatplanes die Durchführung der gemeinschaftlichen Tat durch
seinen Beitrag zusammen mit den übrigen Beteiligten beherrscht; Mitherr-
schaft ist dabei jede arbeitsteilige, für den Erfolg wesentliche Mitwirkung im
Ausführungsstadium (BGE 118 IV 397, 400 E. 2b; 120 IV 17, 23 E. 2d).
Bei der Anwendung von Art. 19 Ziff. 1 BetmG sind im Interesse einer ver-
nünftigen Begrenzung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit auf eigene
Handlungen die Anforderungen an die Annahme einer Mittäterschaft eher
hoch anzusetzen, da die in der besagten Bestimmung aufgeführten Hand-
lungen allesamt die Bedeutung eines selbstständigen Straftatbestandes
haben (BGE 106 IV 73 E. 2b), die demgegenüber bei den meisten anderen
Delikten regelmässig als Unterstützungshandlungen Dritter in Form der Mit-
täterschaft, Anstiftung oder Gehilfenschaft erfasst werden. Aufgrund der
grossen Regelungsdichte des Art. 19 Ziff. 1 BetmG, die nahezu jeden Teil-
nehmer zum Täter macht, erfährt der Anwendungsbereich von Art. 25 StGB
(Gehilfenschaft) eine starke Einschränkung, und Mittäterschaft wird in aller
Regel nur dann zu bejahen sein, wenn ein Täter vom anderen wesentlich
abhängig ist oder nach dessen Weisungen handelt, und ihm dadurch die al-
leinige Tatherrschaft für seine Handlungen fehlt. Nach Massgabe der Fest-
stellungen und Empfehlungen der Konferenz der Strafverfolgungs-
behörden der Schweiz (KSBS) sind Mittäter im Sinne von Art. 349 StGB in
der Regel Personen, die auf der gleichen Hierarchiestufe im Drogenhandel
tätig sind (SCHWERI/BÄNZIGER, a.a.O, S. 218, Anhang IV, Feststellungen
und Empfehlungen der Konferenz der Strafverfolgungsbehörden der
Schweiz [KSBS], S. 218; vgl. zum Ganzen: BGE 118 IV 397, 399 ff. E. 2b
3.2 Vorab ist das Verhältnis zwischen E.______ und A.______ betreffend den
Drogentransport vom 17./18. August 2003 vom Kosovo in die Schweiz oder
allenfalls nach Deutschland zu beurteilen. Aus der derzeitigen Aktenlage
geht hervor, dass E.______ die Drogenlieferung von der Schweiz aus tele-
fonisch mit zwei Mittelsmännern im Kosovo arrangierte, während A.______
mutmasslich den Transport dieser Lieferung durchführte (Beilage zu BK
act. 1 Kantonspolizei Aargau Ordner 1, Reg. 1, Schlussbericht vom 20.
März 2005, S. 3; Beilage zu act. 1, Kantonales URamt Bern D 92/03 Ord-
ner I, Reg. E.______, TK-Gesprächsprotokolle). Damit steht und fällt der
besagte Drogenimport mit dem Tatbeitrag des jeweils anderen, was darauf
schliessen lässt, dass die beiden Beschuldigten bei der Ausführung des
fraglichen Importes auf gleicher Hierarchiestufe durch eine zumindest mi-
nimale, aber für den Erfolg unerlässliche Arbeitsteilung zusammenwirkten.
In diesem Sinne ist das Verhältnis zwischen A.______ und E.______ als
Zu keinem anderen Resultat gelangt man im Übrigen, wenn man der Ar-
gumentation der Gesuchsgegnerin folgt und davon ausgeht, dass
E.______ eine A.______ übergeordnete Stellung innerhalb des Drogenrin-
ges einnahm und ihn in dieser Funktion beauftragte, den Transport durch-
zuführen. Dass nämlich Personen unterschiedlicher Hierarchiestufe nicht
Mittäter sind, mag in Bezug auf das Verhältnis zwischen Lieferant und Ab-
nehmer gelten (vgl. BGE 118 IV 397, 401 E. 2c), da der Lieferant nach Ü-
bergabe der Betäubungsmittel in aller Regel gerade keinen Einfluss mehr
auf das nachfolgende Agieren des Abnehmers hat. Dem ist aber gerade
nicht so, wenn ein Täter vom anderen abhängt und seinen Weisungen ent-
sprechend handelt, wie dies bei der vertretenen Meinung der Fall ist. Dies-
falls liegt trotz unterschiedlichen Hierarchiestufen der Teilnehmer ein klas-
sischer Fall eines für den Erfolg unerlässlichen arbeitsteiligen Zusammen-
wirkens vor, was nach dem Gesagten wiederum Mittäterschaft impliziert.
So oder anders ist demnach von Mittäterschaft auszugehen, was eine Zu-
ständigkeit im Sinne von Art. 349 Abs. 2 StGB begründet. Da die Strafver-
folgung von E.______ durch die Gesuchsgegnerin unbestritten ist, zuerst
angehoben wurde und das fragliche Betäubungsmitteldelikt im Übrigen
auch die schwerste A.______ vorgeworfene Tat darstellt, ist sie auch zur
Verfolgung und Beurteilung aller A.______ vorgeworfenen Straftaten für
berechtigt und verpflichtet zu erklären.
Unklar bleibt der Einbezug von B.______: Obschon er anlässlich seiner
Einvernahme zum oben erwähnten Import auszusagen vermochte, ergeben
sich aus den Berichten der Polizeikorps keine Hinweise, dass er mit diesem
Vorfall etwas zu tun hat (Beilage zu BK act. 1 Kantonspolizei Aargau Ord-
ner 1, Reg. 1, Schlussbericht vom 20. März 2005, S. 10). Entsprechend
wird ihm im Schlussbericht vom 20. März 2005 auch keine Begehung von
Betäubungsmitteldelikten mehr vorgeworfen, weshalb er als Teilnehmer an
der Operation C.______ ausser Betracht fällt (Beilage zu BK act. 1 Kan-
tonspolizei Aargau Ordner 1, Reg. 1, Schlussbericht vom 20. März 2005, S.
Anders verhält es sich hinsichtlich der hier ebenfalls zur Diskussion ste-
henden Vorfälle im Zusammenhang mit dem Viagra: Wie von ihm einge-
standen, entwendete B.______ seiner Arbeitgeberin eine grössere Menge
von Viagra, die er anschliessend an A.______ verkaufte (Beilage zu BK
act. 1 Kantonspolizei Aargau Ordner 1, Reg. 1, Schlussbericht vom 20.
März 2005, S. 12). Da sich diese Tathandlungen unbestrittenermassen auf
Kantonsgebiet der Gesuchstellerin zugetragen haben, ist sie nach Mass-
gabe von Art. 346 StGB berechtigt und verpflichtet, die mutmasslichen
Straftaten von B.______ zu verfolgen und zu beurteilen.
Demnach erkennt die Beschwerdekammer: 1. Das Gesuch wird teilweise gutgeheissen. 2. Die Behörden des Kantons Bern sind berechtigt und verpflichtet, die
A.______ zur Last gelegten strafbaren Handlungen zu verfolgen und zu be-
3. Die Behörden des Kantons Aargau sind berechtigt und verpflichtet, die
B.______ zur Last gelegten strafbaren Handlungen zu verfolgen und zu be-
4. Es werden keine Kosten erhoben. Zustellung an Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid ist kein Rechtsmittel gegeben.
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