Leistungssteigernde substanzen im freizeitsport

Suchtgefahren beim Konsum leistungssteigernder
Substanzen im Freizeitsport
im Rahmen des Symposiums Jugend und … „Amphetamine und andere leistungssteigernde Substanzen“ veranstaltet von der Städtischen Drogen- und Suchtberatungsstelle Erlangen im E-Werk Erlangen EINLEITUNG
Nicht erst seit gestern hat sich Doping als eine spezielle Form des Medikamenten- missbrauchs zur sportlichen Leistungssteigerung in den westlichen Industrienationen zu einem gesamtgesellschaftlichen Problemkomplex entwickelt, der sich inzwischen als hyperstabil zu erweisen scheint. Bereits in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts ist bei US-amerikanischen Polizei- und Militärangehörigen sowie bei Collegestuden- ten ein leistungsoptimierender Anabolikamissbrauch enormen Ausmaßes nachgewie- sen worden. Auch prominente Schauspieler und Heldenfiguren, wie Arnold Schwar- zenegger, Sylvester Stallone und viele andere, die weltweit Millionen Menschen als körperliche Vorbilder regelrecht verehren, gaben den langjährigen Konsum von Ana- bolika und Wachstumshormonen zu oder fielen bei Grenzkontrollen mit illegalen Do- pingmitteln auf. In Deutschland scheint darüber hinaus eine medikamentöse Beein- flussung von Körper oder Psyche sowohl in der Arbeitswelt als auch an Schulen und Universitäten nicht die Ausnahme zu sein, um beispielsweise Müdigkeitszustände zu vertreiben, Prüfungsängste zu reduzieren oder Stimmungen aufzuhellen. Dies wurde von Lieb (2010) mit der Formulierung „Hirndoping“ begrifflich auf den Punkt gebracht und ist in weiten Teilen als eine Entsprechung zur modernen Leistungsgesellschaft zu verstehen. Selbst im sexuellen Bereich findet die medikamentöse Leistungsmani- pulation des Körpers via Viagra, Cialis oder Levitra immer mehr Anhänger. Folglich ist in Anlehnung an Geipel (2008) von einer „gedopten Gesellschaft“ auszugehen, in der die Einnahme von Dopingmitteln und anderen leistungssteigernden Substanzen in nahezu allen Lebensbereichen angekommen ist. 1. DOPING JENSEITS DES WETTKAMPFSPORTS
Inzwischen durchzieht Doping sämtliche Bereiche des modernen Sports und macht selbst vor einem hobbymäßig betriebenen Breiten- oder Freizeitsport nicht halt. Do- ping kennt keine Altersgrenzen, denn selbst Pensionäre, die ihre leistungsfähigsten Jahre bereits hinter sich gelassen haben, aber auch Kinder und Jugendliche sind vor dieser Missbrauchsform nicht gefeit. So zeigt Rathgeber (2004: 84ff.) in einer Studie, dass 9 % der befragten Schüler der Jahrgangsstufen elf und zwölf – meist in Zusam- menhang mit einer Fitness-Studiomitgliedschaft – über Erfahrungen mit dem Konsum leistungssteigernder Dopingsubstanzen verfügen und 27 % der Befragten gleichaltri- ge Konsumenten aus ihrem näheren sozialen Umfeld kennen. Für den freizeitsport- lichen Laufbereich (Volksläufe, Marathon u.Ä.) liegen unterdessen Erkenntnisse vor, die einen ausufernden Konsum von bedenklichen Nahrungsergänzungspräparaten sowie Schmerzmitteln konstatieren. „Bei der Einnahme von Schmerzmitteln ist der weibliche Anteil mit 53,2 % etwas höher als bei den Männern [41,3 %]“ (Steuer et al. 2009: 222). Als besonders dramatisch stellt sich jedoch die Situation in kommerziel- len Fitness-Studios dar. Hier hat sich über viele Jahre hinweg ein soziales Milieu aus- differenziert, in dem Jugendliche und Erwachsene trotz der von außen kommenden gesundheitsorientierten Mahnungen notorisch auf hohem Niveau Dopingmittel auch ohne medizinische Notwendigkeit einnehmen: um den eigenen Körper zielgerichtet zu modellieren, um außeralltägliche Körpererfahrungen zu sammeln, um Distinktions- sowie Achtungsgewinne in Peergroup-Konstellationen zu erzielen oder um sich funk- tionsspezifisch für Türstehertätigkeiten u.Ä. zu qualifizieren (vgl. Kläber 2010: 91ff.). 2. ZUR DOPINGSITUATION IN FITNESS-STUDIOS
Bezüglich der Fitness-Studiobesucher in Deutschland, die ihr Training mit Unterstüt- zung verschreibungspflichtiger Dopingmittel absolvieren, sind bereits Ende des ver- gangenen Jahrhunderts alarmierende Daten vorgelegt worden. So kam eine Lübe- cker Forschergruppe zu dem Ergebnis, dass 24 % der Männer und 8 % der Frauen in kommerziellen Fitness-Studios Dopingpräparate konsumieren – oder bereits einmal konsumiert haben. Die damals im norddeutschen Raum eruierten Ergebnisse wurden dann rund zehn Jahre später durch eine Tübinger Forschergruppe um den Mediziner und Juristen Heiko Striegel in den wesentlichen Punkten bestätigt. Fasst man die bei- den Studien zusammen, ist von einem Dopingkonsumenten-Gesamtanteil von ca. 13 bis 16 % auszugehen (vgl. Boos et al 1998; Striegel 2008). Das ergibt hochgerechnet bei knapp sieben Millionen registrierten Fitness-Studiobesuchern allein für Deutsch- land mehrere hunderttausende Dopingmittelkonsumenten (User); die Dunkelziffer ist dabei nicht inbegriffen. Vor diesem Hintergrund sind alle bisherigen Bemühungen im Kampf gegen Doping als wenig erfolgreich zu bezeichnen. Hinzu kommen Daten aus einer aktuellen Studie, die die oben genannte Befundlage nicht nur bestätigen, son- dern in Teilen sogar eine weitere Verschlechterung der Dopingsituation in Fitness- Studios bescheinigen. Die folgende Tabelle vergleicht die Lübecker-Studie aus dem Jahr 1998 mit der aktuellen Studie (2011) aus dem Raum Frankfurt: 2011 Frankfurt
Frankfurt (incl. Uni-Studios)
User-Gesamtanteil
Tabelle 1: Die Daten entstammen dem Artikel „Doping im Freizeitsport konstant weit verbreitet“ (vgl. aerzteblatt.de vom 2. Mai 2011) Die obigen Daten zeigen, dass die Anzahl an männlichen Usern in kommerziellen Fit- ness-Studios „nur“ um ein Prozent angestiegen ist, während die Anzahl der weibli- chen User um 6 % zugelegt hat. Insgesamt hat sich der User-Gesamtanteil einer von Experten oft genannten Dunkelziffer von mindestens 20 % mit nunmehr 19,5 % deut- lich angenähert. Bezieht man die eruierten Daten von Mitgliedern in universitären Fit- ness-Studioeinrichtungen mit ein, geht dies mit einer frappierenden Verringerung der Prozentangaben einher. Doch auch die Anzahl derjenigen, die ihre Dopingpräparate direkt von einem Arzt beziehen – ob nun über Privatrezept oder via Scheinindikation – ist von 15 auf 28 % angestiegen. Demzufolge muss man von einer Konsolidierung, wenn nicht sogar von einer Verschlechterung der Dopingsituation in Fitness-Studios ausgehen (vgl. Ärzte Zeitung, 05.05.2011). 3. ERKLÄRUNGSANSÄTZE ZUM DOPING IM FITNESS-STUDIO
Für ein tiefenscharfes Dopingverständnis hat Kläber (2010) im Rahmen einer Studie mit dem Titel „Doping im Fitness-Studio – die Sucht nach dem perfekten Körper“ her- ausgearbeitet, wie Dopinghandlungen auch im Bereich des Freizeitsports in soziale Bedingungen, Netzwerke und Beziehungsfallen eingebettet sind. So wird beispiels- weise das Training und die Ernährung körpermodellierender Fitness-Studiobesucher maßgeblich durch das sportliche Umfeld bestimmt. In Fitness-Studios findet ein reger Austausch über Trainings- sowie Ernährungsstrategien statt. Leistungen im Rahmen einer Aufbau- oder Abnehmdiät werden im Studioumfeld besonders gewürdigt. Daher sind Körpermodellierer überaus anfällig für Dopingpraktiken, mit denen sich die Kör- peroptik im Rahmen der Diätmaßnahmen deutlich effizienter modellieren lässt (vgl. Doping ist demzufolge keine – wie man landläufig oftmals meint – isolierte, rein in- dividuelle Entscheidung „böser“ oder gar „dummer“ Menschen; vielmehr werden Do- pinghandlungen durch ein vorbereitendes und assistierendes Umfeld initiiert und ge- tragen. Denn weder das zu erlernende Doping-Know-how noch die benötigten Do- pingpräparate fallen vom Himmel. An den Biographien von Fitness-Studiomitgliedern, die ambitioniert trainieren und bereits ein überdurchschnittliches Leistungsniveau er- reicht haben, lassen sich Trainingszwänge, Ess-Störungen sowie Dopinghandlungen daher ausschließlich vor dem Kontext eingeschworener Netzwerke plausibel erklären 3.1 BIOGRAPHISCHE DYNAMIKEN
Mit der Mitgliedschaft und dem regelmäßigen Training in einem Fitness-Studio be- ginnen biographische Dynamiken an der Athletenbiographie zu wirken, die auch Ge- fahren mit sich bringen. Unabhängig vom angepeilten Körperideal – egal ob das des Bodybuilding-, Fitness- oder Gesundheitssports – geht es den meisten Kraftsportam- bitionierten vorrangig um eine nachhaltige Verbesserung der individuellen Körperop- tik, also der ‚Figur’. Um sichtbare und beständige „Erfolge“ am eigenen Körper verbu- chen zu können, bedarf es biographischer Fixierungen, die sich auf einer sachlichen, zeitlichen, sozialen und räumlichen Ebene differenzieren lassen (vgl. Bette/Schimank 2006: 117ff.). Auf sachlicher Ebene muss man sich als Körpermodellierer im zuneh- menden Maße mit trainingsoptimierenden Methoden, ernährungs- oder diätspezifi- schen Strategien und leistungs- oder stoffwechselsteigernden Substitutionspraktiken auseinandersetzen. Diesbezüglich gibt es für Kraftsport-Neulinge viel zu lernen. Auf der zeitlichen Ebene lässt sich aufzeigen, dass ambitionierte Studiomitglieder immer mehr Zeit für ihr Training aufbringen und zu diesem Zweck der Aufenthalt im Fitness- Studio drastisch zunimmt. Für die Zubereitung der Mahlzeiten, die stets pedantisch auf ihren Nährwert- und Kaloriengehalt zu überprüfen sind, geht ebenfalls nicht we- nig Zeit verloren. Generell ist zu konstatieren, dass Körpermodellierer in ihren Sport hyperinkludiert sind. Das heißt, dass sie sich ihrem Sport mit ‚Haut und Haaren’ hin- geben. Der gesamte Tagesablauf ist nach ihrem Training ausgerichtet sowie zeitlich Auf der sozialen Ebene ist frappant, dass sich die Sozialkontakte von Studiobesu- chern im zunehmenden Maße auf Personen aus dem studiointernen Umfeld oder aber auf Personen mit ähnlichen Interessen (Training, Ernährung, Supplements, Do- ping u.Ä.) reduzieren. Unter ‚Gleichgesinnten’ lassen sich ernährungs- und substitu- tionsbedingte Verhaltensauffälligkeiten leichter ausleben und müssen nicht perma- nent gerechtfertigt werden. Es entsteht ein starkes Gefühl der sozialen Nestwärme, was sich letztlich auch auf der räumlichen Ebene niederschlägt. So reduziert sich der Lebensraum vieler Kraftsportler immer drastischer auf das heimische Fitness-Studio, das nicht selten zum Dreh- und Angelpunkt oder Lebensmittelpunkt wird. Selbst bei der Buchung eines Hotelurlaubs ist das Vorhandensein eines adäquaten Fitness-Stu- dios für die Entscheidungsfindung ausschlaggebend. Während des (sport-)biographischen Verlaufs bildet sich bei passionierten Körper- modellierern ein „Leistungsindividualismus“ aus. Es wird eine kontinuierliche Verbes- serung der Körperoptik angestrebt. Jeglicher figurtechnische Rückschritt kommt einer regelrechten Katastrophe gleich und führt zu einem sukzessiv waghalsiger werden- den Ernährungs- oder Dopingverhalten (vgl. Kläber 2010: 89f.). Dieser Umstand mar- kiert eine (rigide) biographische Pfadabhängigkeit: Je intensiver sich ein Athlet über seine Körperoptik definiert, also die ‚Figur’ zum Identitätsaufbau vereinnahmt, desto schwieriger wird es, den einst eingeschlagenen und oft weit fortgeschrittenen biogra- phischen Pfad eines Körpermodellierers wieder zu verlassen. Um eine nachvollzieh- bare Körperoptikverbesserung „dauerhaft“ zu gewährleisten, werden dann alle Mög- lichkeiten der Leistungssteigerung – speziell im Bereich der Sporternährung und des Dopings – erbarmungslos ausgereizt (Kläber 2010: 251ff.). 3.2 SPIRALFÖRMIGE ESKALATIONEN
In vielen Fällen mündet ein anfänglich noch ausgewogenes und gesundes Essver- halten in ein schier krankhaftes Diäthalten für den unbedingt gewollten Waschbrett- bauch oder in ein maßloses Mästen für den sehnsüchtig erhofften Muskelmassezu- wachs. Bei weiblichen Studiomitgliedern können sich aufgrund des steigenden – z.T. durch die Massenmedien auferlegten und durch die Peergroup verstärkten – Leis- tungsdrucks zum Schlanksein starke Ess-Störungen wie Bulimie entwickeln. Männer hingegen unterliegen meistens einem Leistungsdruck zum Muskulössein und neigen daher tendenziell zu einer einseitigen und überreichlichen Ernährungsweise, aber in einigen Fällen auch zu Formen der Magersucht, um einen möglichst niedrigen Kör- perfettgehalt zu erlangen und auf Dauer zu erhalten (vgl. Dalhaus 2010). Doch nicht nur die Essgewohnheiten spitzen sich zu und werden rigoroser. Um den Stoffwechsel im Rahmen einer Diät weiter anzuheizen, nehmen viele Fitness-Studiobesucher Fat- burner, Grünteekapseln, L-Carnitin und andere Nahrungsergänzungspräparate ein. Junge Männer, die an einem möglichst schnellen Muskelmasseaufbau interessiert sind, konsumieren vorzugsweise Eiweißpulver, Creatin oder Prohormone. Beim Kon- sum derartiger Präparate entwickelt sich bereits eine Dopingmentalität, die zugleich den Einstieg in die Dopingspirale darstellen kann – wohlgemerkt kann, nicht zwangs- läufig muss. Nicht wenige Studiomitglieder wagen dann aufgrund entfesselter Selbst- ansprüche, die vom oktroyierten Leistungsdruck der Peergroup verstärkt werden, den folgenreichen Griff zu (verschreibungspflichtigen) Dopingmitteln wie Ephedrin, Clen- buterol, Amphetamine, Anabolika oder sogar Wachstumshormonen. Die Dopingprak- tiken werden sodann stetig radikaler und risikoreicher; sie drohen allmählich zu eska- lieren. Der Begriff Eskalation impliziert bereits eine gewisse Eigendynamik und Stei- gerungsform. Beide Aspekte können wiederum Merkmale für ein sich ausbildendes An den biographischen Verlaufsfiguren leistungsorientierter Körpermodellierer las- sen sich die beiden Merkmale problemlos festmachen (vgl. Kläber 2009: 94). Ab dem Zeitpunkt, an dem es zu einer „ersten“ Dopinghandlung kommt, entfaltet sich eine un- gemein potente Eigendynamik. Der spiralförmige Verlauf der Dopinghandlungen ver- deutlicht einen Anfang ohne Ende, der für viele User-Biographien kennzeichnend ist. Durch die Toleranzentwicklung im Hinblick auf die verwendeten Substanzen verdich- ten und verschärfen sich die Dopinghandlungen unaufhörlich. Die Dosierungen wer- den sukzessiv erhöht, die Einnahmezeiten werden länger und immer mehr Doping- substanzen werden miteinander kombiniert. Umgangssprachlich kann man dies auch als ‚Teufelskreis’ bezeichnen, dem man (nur) schwerlich entkommt. Zu viel hat man bereits auf sachlicher, zeitlicher und sozialer Ebene in den Körper investiert, so dass Rückschritte oder Stagnationen als nicht mehr hinnehmbar erscheinen. Die körperli- che Gesundheit wird zunehmend aufs Spiel gesetzt und der Athletenkörper wird zum riskierten Körper. Doping gewinnt allmählich Züge einer Drogensucht und die Wahr- scheinlichkeit dafür, dass zusätzlich zu den Dopingmitteln Kokain, Speed, Marihuana u.Ä. eingenommen wird, steigt deutlich an (vgl. Boos et al. 1998: 710f.). 4. DOPING UND DIE ROLLE DER MEDIZINER
Immer öfter lassen sich Fitness-Studiokunden vorerst nur ihre Ernährungspläne und dann nicht selten auch ihre Dopingpraktiken von Medizinern „absegnen“. Inzwischen dopen sich über 30 % der in Studien befragten User unter ärztlicher Kontrolle (vgl. Boos et al. 1998; Striegel 2008). Folglich kommt den User-betreuenden Medizinern in den Netzwerken der Fitness-Studios als interne Externe eine wichtige Rolle zu. Non- User konsultieren diese devianzbereiten Mediziner – nicht selten auf Anraten eines befreundeten Users – vorerst zum Zweck einer Diätberatung. Diese Beratung erfolgt ähnlich wie die eventuell später in Anspruch genommene Dopingbetreuung anhand der aktuellen Blutwerte (vgl. Kläber 2010: 207ff.). Scharf formuliert ist zu resümieren, dass besagte Mediziner aus Profitgier die Neigungen zu Ess-Störungen und Doping (bzw. Medikamentenmissbrauch) von Fitness-Studiokunden wissentlich schüren. Ge- nerell reichen diesbezüglich wenige Mediziner aus, um eine Vielzahl an User-Netz- werken in diversen Fitness-Studioeinrichtungen im Hinblick auf ihre Diät- und Do- pingpraktiken weiter zu professionalisieren. SCHLUSSBETRACHTUNG
Gemäß Kläber (2010: 185f.) stellen Bodybuilder bezüglich der Know-how-Vermittlung und der Präparatsbeschaffung eine Dopingavantgarde dar. Ebenso werden Kennt- nisse, wie und wann bestimmte Medikamente ein- oder abzusetzen sind, um entwe- der das Körperpanorama effektiv aufzubauen, gewisse Leistungsfaktoren zu verbes- sern oder positive Kontrollen zu vermeiden, sehr häufig durch Bodybuilder weiterge- geben. Ähnlich verhält es sich mit dem Wissen, wie Medikamentenfälschungen durch subtile Kennerschaft entlarvt werden können. Über sog. Insiderliteratur, die bewusst den Schein seriöser Fachliteratur fingiert, sowie über dopingfreundliche Internetforen wird das Erfahrungswissen von Bodybuildern für jedermann zugänglich gemacht. Da- rüber hinaus besteht die Gefahr diverser Ausstrahlungseffekte, die vom Dopingmilieu der Fitness-Studios auf den traditionellen Vereinssport ausgehen. Denn nicht wenige Vereinssportler sind auch Mitglied in einem kommerziellen Fitness-Studio und tragen dann das dort erlernte Doping-Know-how in die traditionellen Sportvereine (vgl. Klä- ber 2010: 195f.). Auch ehemalige Spitzensportler, die während oder nach ihrer Sport- karriere dem Kraftsport verhaftet blieben oder ihren eigenen teueren Dopingkonsum durch ein Dealen in den Studios zu refinanzieren trachten, sind in diesem Milieu be- reits auffällig geworden. Demgemäß muss man der Dopingsituation in kommerziellen Fitness-Studios deutlich mehr Aufmerksamkeit zukommen lassen als dies bisher der In Bezug auf konkrete Lösungsansätze ist zu berücksichtigen, dass Doping einen Sachverhalt darstellt, in dem komplexe Strukturen und Prozesse zusammenlaufen, folglich sind auch komplexe Gegenmaßnahmen einzuleiten. Angemessen komplexe Lösungsstrategien müssen stets aus einer intelligenten Kombination einander wech- selseitig flankierender Maßnahmen bestehen. Erstens ist eine kontinuierlichere und rigorosere Aufklärungsarbeit von Nöten, die das nicht zu unterschätzende Gefahren- potential biographischer Dynamiken, strukturell bedingter Mechanismen und Zwänge in Zusammenhang mit einem Dopinggebrauch in den Vordergrund rückt. Zweitens ist über eine – wie auch immer geartete – Verpflichtung der Fitness-Studiobetreiber im Hinblick auf eine bessere Kontrolle ihres Binnenraums nachzudenken. Drittens sind (neue) wissenschaftliche Erkenntnisse über Doping an der Schnittstelle zur Praxis verständlicher, aber auch vehementer zu kommunizieren. Zu guter Letzt sind viertens über Kontrollmöglichkeiten und bei Entlarvung über angemessene Sanktionsmaß- nahmen für User-betreuende Mediziner nachzudenken. Dem Autor ist durchaus be- wusst, dass diese Maßnahmen lange nicht ausreichen und einer Ergänzung bedür- fen, sie aber ein erster Schritt in die richtige Richtung wären. BASISLITERATUR:

Kläber, Mischa, 2010: Doping im Fitness-Studio. Die Sucht nach dem perfekten Kör-
Die Debatte um das Dopingproblem des Spitzensports verstellt den Blick auf jene Do-pingpraktiken, die jenseits des öffentlichen Interesses tagtäglich im Breiten- und Frei-zeitsport stattfinden. In der Lebenswelt der Kraftsportler und Bodybuilder hat sich ein Milieu etabliert, in dem Medikamente missbräuchlich eingesetzt werden, um den als de-fizitär wahrgenommenen Körper zu überarbeiten. Durch Interviews mit Dopingnutzern, betreuenden Medizinern und weiteren Akteuren bringt Mischa Kläber Licht in die Dopingszene kommerzieller Fitness-Studios. Die da-mit gewonnenen Erkenntnisse über die Einstellungen der Dopingnutzer sowie über be-stehende Netzwerke, konspirative Praktiken und eskalatorische Suchtspiralen sind frap-pierend. Sie zeigen, wie sehr Techniken der medikamentösen Körpermodellierung unter Inkaufnahme der Nebenwirkungen bereits im Alltag angekommen sind.
WEITERE LITERATUR:
Bette, Karl-Heinrich und Uwe Schimank, 2006: Doping im Hochleistungssport. An- passung durch Abweichung. Frankfurt a. M.: Suhrkamp (2. Auflage). Boos, Carsten, Peter Wulff, Peter Kujath und Hans-Peter Bruch, 1998: Medikamen- tenmissbrauch beim Freizeitsportler im Fitnessbereich. In: Deutsches Ärzteblatt, 95. Jg., H. 16, C 708-712. Dalhaus, Laura, 2010: Essstörungen im Fitness- und Freizeitsport. Untersuchungen zum Ess- und Trainingsverhalten von Mitgliedern in Fitness- und Freizeitanlagen. Westfälischen Wilhelms-Universität Münster: Dissertationsschrift. Geipel, Ines, 2008: No Limit. Wie viel Doping verdrängt die Gesellschaft. Stuttgart: Kläber, Mischa, 2009: Doping im Fitness-Studio. In: Karl-Heinrich Bette (Hrsg.), Do- ping im Leistungssport. Darmstadt: Verein zur Förderung des Darmstädter Hoch-schulsports, 70-114. Lieb, Klaus, 2010: Hirndoping. Warum wir nicht alles schlucken sollten. Mannheim: Rathgeber, Tobias, 2004: Doping eine Gefahr für den Jugendsport? Berlin: Weißen- Steuer, M., V. Höltke, K. Hömberg und E. Jakob, 2009: Befragung zum Konsum von NEM und Medikamenten im Freizeit- und Breitensport. In: Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin, 60. Jg., H. 07-08, 222-223. Striegel, Heike, 2008: Doping im Fitness-Sport. Eine Analyse zwischen Dunkelfeld und sozialer Kontrolle. Baden-Baden: Nomos.

Source: http://www.erlangen.de/Portaldata/1/Resources/040_kinder_familie/513_I_LeistungssteigerndeSubstanzenFreizeitsport_201107.pdf

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