Was ist der Placebo-Effekt? Teil a) Ketotifen (Asthma) Dieser Beitrag beschäftigt sich kritisch mit Loratadin (Heuschnupfen) der Definition des Placebo-Begriffs. Nach ei- Terfenadin (Urtikaria) ner Übersicht zu den wesentlichen Ergebnis- Loratadin (Heuschnupfen) sen der bisherigen Placebo-Forschung wird fest- Teil b) gestellt, dass die Wissenschaft noch immer weit entfernt von einem guten und umfassen- den Modell zum „Placebo“-Phänomen ist. Ketotifen (Asthma) Loratadin (Heuschnupfen) Aus einer Kritik einschlägiger Placebo-Defi- Terfenadin (Urtikaria) nitionen ergibt sich, dass bis heute keine Loratadin (Heuschnupfen) überzeugende positive Definition des Begriffs „Placebo“ existiert und eine solche auch in Tab. 1: Veränderungen der Symptomatik in vier Arznei-
mittelstudien zu allergischen Erkrankungen (nach22). An-
Zukunft unrealistisch ist. Der Begriff „Place-
gegeben sind die Mittelwerte des verwendeten Sympto-
bo“ kann nur negativ oder operational defi-
menscores. In Teil a) sind die Werte für die Placebo- niert werden. Folglich macht die Verwendung
Gruppen, in Teil b) für die Verum-Gruppen angetragen. des Placebo-Begriffs außerhalb von verglei- der angegebenen Arzneimittel zu machen. Die chenden klinischen Studien überhaupt kei- Darstellung zeigt aber nur die Hälfte der Wahr- nen Sinn und sollte unterlassen werden. Im heit. Es handelt sich nämlich bei den Ergebnis- Sinne einer Restkategorie wird der Begriff sen in Tab. 1, Teil a) nur um jene, die in der „Placebo“ definiert als eine Beschreibung al- Kontrollgruppe erhoben worden sind, bei den ler Einflussgrößen in einer kontrollierten Stu- Patienten also, die die angegebenen Präparate die, die (wünschenswerte) Veränderungen ei- gar nicht erhalten hatten. Sie bekamen stattdes- nes Patientenmerkmals nach sich ziehen, mit sen ein Scheinmedikament, das genauso aussah Ausnahme der in dieser Studie zu prüfenden wie das eigentliche Präparat, aber den relevan- Therapiekomponente(n). ten Wirkstoff nicht enthielt - ein „Placebo“. Ein Der Begriff „Placebo-Effekt“ sollte im Rah- Vergleich mit den Ergebnissen der Patienten, men von klinischen Studien durch „kontext- die das untersuchte Medikament tatsächlich abhängige Veränderungen“ übersetzt (oder eingenommen hatten (Tab. 1, Teil b), zeigt, noch besser: ersetzt) werden, die sich aus dass z. B. in der dritten angegebenen Studie die mindestens sechs Komponenten zusammen- Verbesserungen in der „Verum-Gruppe“ sehr setzen, die im Beitrag diskutiert werden. Die viel deutlicher waren als in der „Placebo-Grup- Bestimmung des jeweiligen Gewichts der ein- pe“, dass andererseits sich die Ergebnisse in der zelnen Komponenten ist bei klinischen Studi- ersten angegebenen Studie zwischen den beiden en allerdings nicht von Belang, da es hierbei Gruppen nicht unterschieden. So eindrücklich ausschließlich um die Überprüfung der Wirk- durch diese Gegenüberstellung die Notwendig- samkeit der zu testenden Therapie geht. Inso- keit einer adäquaten Vergleichsgruppe demonst- fern schränkt das Fehlen einer exakten Defi- riert werden kann, so faszinierend ist gleichzeitig nition von „Placebo-Effekt“ die Wertschät- die Frage, was es mit der in der Placebo-Gruppe zung „placebo“-kontrollierter Studien in kei- beobachteten Verbesserung - dem so genannten ner Weise ein. Placebo-Effekt - eigentlich auf sich hat.
Ein Beispiel zur Einführung: In vier klinischen
Dass ein solcher Placebo-Effekt keineswegs auf
Studien zu antiallergisch wirkenden Arzneimit-
eine medikamentöse Behandlung beschränkt
teln (s. Tab. 1, Teil a) wurde ein mehr oder we-
ist, zeigt ein weiteres, berühmtes Beispiel. In den
niger deutlicher Rückgang der Symptomatik be-
50er Jahren wurde eine operative Therapie der
obachtet. Man könnte versucht sein, aus diesen
koronaren Herzkrankheit entwickelt, die in ei-
Ergebnissen eine Aussage über die Wirksamkeit
ner Unterbindung der Brustwandarterie be-
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stand. Die Operation wurde in Amerika weit
„Placebo domino in regione vivorum“. Der Vers
verbreitet durchgeführt. Im Jahre 1958 führte
spielte eine besondere Rolle bei Begräbnisfeiern,
ein euphorischer Bericht im Reader’s Digest zu
und das Wort Placebo wurde im 12. Jahrhun-
einer weiteren Zunahme dieser Therapie. Wie
dert für Personen verwendet, die am Grab an-
so häufig, rief die Euphorie aber auch Skeptiker
stelle der wirklich Trauernden Grabgesänge an-
auf den Plan, die die Wirksamkeit der Methode
stimmten und Trauer demonstrierten - gegen
bezweifelten. Ende der 50er Jahre wurden - da-
Bezahlung natürlich. Es ist interessant festzu-
mals eine Pionierleistung - zwei kontrollierte
stellen, dass sich diese Konnotation des Begriffs
Studien durchgeführt1,5, bei denen ein Teil der
Placebo, nämlich etwas vorzumachen oder vor-
Patienten Scheinoperationen mit Narkose und
Hautschnitt, allerdings ohne Unterbindung der
Seit Ende des 18. Jahrhunderts lässt sich eine
Arterie, unterzogen wurde. Die Auswertung er-
medizinische Bedeutung des Begriffs Placebo
gab, dass sich die Beschwerden in beiden behan- nachweisen. Aus einem 1787 herausgegebenen
delten Gruppen besserten und die Patienten
Wörterbuch stammt die Definition, dass es sich
deutlich belastbarer waren, dass aber kein Un-
bei einem Placebo um eine „unspezifische Me-
terschied zwischen den beiden Gruppen be-
thode oder Medizin (handele), mehr dazu ge-
stand. Auch hier zeigte sich also, dass die Un-
dacht, den Patienten eine Weile bei Laune zu
terbindung der Arterie nicht effektiver war als
halten als zu irgendeinem anderen Zweck“. Im
der „unspezifische“ Effekt der Operation, den
Jahre 1800 erschien eine Schrift von John
man auch hier als Placebo-Effekt bezeichnen
Haygart mit dem Titel „Imagination äs a cause
würde. Die Publikation der Ergebnisse führte zu
and äs a eure of disorders of the body“, in der er
einer sehr raschen Beendigung dieser Operati-
Ergebnisse von Untersuchungen über Placebos
Nach einer langen, eher „dunklen“ Phase der
Der Ursprung des Begriffs „placebo“ („ich werde
methodisch aufgeklärten medizinischen For-
gefallen“ als Form des lateinischen Verbs „pla-
schung gewann das Placebo-Thema durch eine
cere“) wird mit einer Passage im biblischen
1946 veranstaltete Cornell-Konferenz zu Thera-
Psalm 116, Vers 9, in Verbindung gebracht:
piefragen („The use of placebos in therapy“)
Somatische Endorphine
bei Placeboanalgesie zeigen 40 % der Probanden Schmerzen unter Naloxon
Ansätze
Placebotherapie entzündlicher Erkrankungen
Psycholo- gische An- Psychosoziologischer Ansatz soziokulturelle Heilsituation
durch Verumerfahrung konditionierte Placeboreaktionen; insbesondere bei
Tieren nachgewiesenhohe Ängstlichkeit, Stresswahrnehmung, Neurotizismus, Suggestibilität,
Wahrnehmungsverzerrungen positives Auffassen mehrdeutiger Signale
Aufforderungscharakteristiken, Hawthorne-Effekte, Versuchsleitereffekt,
Regression zur MitteErhöhung von Überzeugung, Motivation, positive kongnitive und emotio-
nale Reaktionen, sich selbst erfüllende Prophezeiungen
Selbstwahrnehmungstheorie interne vs. externe OrientierungAttributionstheorie
Tab. 2: Überblick über einschlägige Placebo-Theorien (nach3).
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stark an Interesse und Bedeutung. Die weitere
ler Kommunikation abhängig zu machen, wie
Entwicklung führte kurzfristig zu der berühmten
Arbeit von Beecher „The powerful placebo“2
3. Es besteht weitgehende Einigkeit darin, dass
und mittelfristig zu einem großen Forschungsin-
es keine typischen Charaktereigenschaften
teresse, Erklärungen und Determinanten für die
einer Person gibt, die allgemein besonders gut
beobachteten Effekte näher zu kommen. Die
auf Placebos reagiert (Placebo-Responder).
Forschungen haben zu Tausenden von Publika-
4. Es gibt verschiedene Mitteilungen, dass be-
phien geführt (z. B.4,9,28). Das Forschungsinteres-
stimmte technische Details medikamentöser
se scheint in den letzten zehn Jahren allerdings
Therapien (Größe der Tablette, Zahl der Pil-
len, Invasivität der Anwendung) einen Ein-
fluss auf den Placebo-Effekt hätten. Auch der
Farbe der Tabletten wird ein Einfluss auf die
(Übersicht z. B. bei3). Strukturell kann man
dabei Eigenschaften des Patienten identifizie-
nisse der vier Allergiestudien, so stellt man fest,
ren, Eigenschaften des Behandlers, die Qua-
dass Veränderungen in der Placebo-Gruppe zum
lität der Beziehung zwischen Patient und Be-
Teil erheblich sein können. So ging etwa in der
handler, Einflüsse, die dem sozialen Milieu
oberen Studie die Symptomatik von einem mitt-
des Patienten zuzuordnen sind, Eigenschaf-
leren Scorewert von 8,0 auf einen Scorewert
ten, die die Behandlungssituation betreffen,
von 2,5 zurück, immerhin eine mittlere Verbes-
schließlich Eigenschaften der Erkrankungssi-
serung der Symptomatik um ca. 70 Prozent.
tuation selbst sowie solche der Therapie. Die
Ähnliche Ergebnisse wird man in vielen kon-
Interaktionen dieser verschiedenen Kompo-
trollierten Studien finden können. Placebo-Res-
nenten sind außerordentlich komplex und es
ponse-Raten, also der Anteil von Patienten, die
scheint nur sehr ungenügende Ergebnisse da-
überhaupt eine Verbesserung ihrer Beschwer-
zu zu geben, welche dieser Faktoren in Relati- den zeigten, sollen zwischen sieben Prozent bei
on zu welchen anderen in welchen Situatio-
hirnorganischen Erkrankungen und bis zu 62
Prozent bei Kopfschmerzen liegen11 (Migräne
2. Das gleiche gilt für Erklärungsmodelle, mit
ausgenommen, hier liegt der Anteil bei 32 Pro-
zent). Auch bei schwerwiegenden Gesundheits-
zustellen, die zu Placebo-Effekten beitragen
störungen (Angina Pectoris, Multiple Sklerose,
(siehe Tab. 2). Auch hier spricht die Vielfalt
Hypertonus) lassen sich positive Veränderun-
der Theorien nicht dafür, dass man einem gu- gen ohne eine spezifische Therapie beobachten.
Ein anderer Weg, das Ausmaß von Veränderun-
ist18. Wichtig ist, davor zu warnen, das Place-
gen unter einer Placebo-Behandlung zu ermit-
bo-Phänomen allein durch Suggestion erklä-
teln, wurde von Roberts et al.20 beschritten. Sie
ren zu wollen bzw. seine Existenz von verba-
untersuchten in einer aufwändigen Erhebung,
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wie ausgeprägt berichtete Besserungen von eini-
Therapie mit antiarrhythmischen Präparaten
gen ausgewählten Behandlungsmaßnahmen wa-
und eine Placebogabe verglichen. In dieser Stu-
ren. Sie wählten dafür solche Therapien aus, die
die wurde als Erfolgskriterium ein deutlicher,
über einen gewissen Zeitraum hinweg weit ver-
klinisch relevanter Rückgang der im Langzeit-
breitet waren, bevor man in kontrollierten Stu-
EKG registrierten Rhythmusstörungen definiert.
dien feststellte, dass sie einer unspezifischen
In der Placebogruppe ergab sich bei 37 Prozent
Therapie nicht überlegen waren. Man musste
der Patienten ein solcher Erfolg. Diese und viele
aus den Ergebnissen dieser Studien also schlie-
andere Beispiele zeigen eindrücklich, dass ge-
ßen, dass vorher berichtete Effekte als gesund-
sundheitliche Veränderungen, die in einer Pla-
heitliche Verbesserungen gelten konnten, die
cebo-behandelten Gruppe von Patienten auftre-
allerdings, ohne dass Behandler und Patient dies ten, durch „objektive“ Messmethoden und sich
ahnten, nicht durch spezifische Therapiekom-
daraus ergebende „harte“ Daten gestützt wer-
ponenten hervorgerufen worden waren. Die Er-
den können und keineswegs nur in der Einbil-
gebnisse dieser Untersuchung ergaben noch
dung der Patienten existieren. Sicher gibt es Er-
ausgeprägtere Effekte als die oben genannten
krankungen, in denen „Einbildung“ auch eine
Prozentzahlen. Andere Autoren gehen sogar so
Rolle spielt. Als alleinige Erklärung bzw. als
weit, Placebo-Effekten einen Anteil von 80 Pro-
Grund für die Geringschätzung solcher Verän-
zent bis 90 Prozent an beobachteten gesund-
derungen generell kann dies allerdings sicher
heitlichen Verbesserungen zuzuschreiben. Es
soll allerdings hier nicht verschwiegen werden,
dass diesen Zahlen von anderen Autoren ein
Wert von Null entgegengesetzt wird, d. h. der
Die Begriffe Placebo und Placebo-Effekt wurden
Placebo-Effekt wird überhaupt als fraglich und
bis hierher nicht definiert. In den letzten Ab-
vermutlich nicht existent beschrieben13.
schnitten wurde sogar versucht, vorsichtig For-
mulierungen zu vermeiden, die in einer Placebo-
behandelten Gruppe von Patienten auftreten-
Es ist ein auch unter medizinischen Fachleuten
den Veränderungen als Effekte eines Placebos
außerordentlich weit verbreiteter Irrtum, dass
zu interpretieren. Obwohl nämlich keinerlei
Placebo-Effekte etwas mit Einbildung zu tun
ernsthafter Zweifel daran bestehen kann, dass
hätten und - noch schlimmer - dass ein Auftre-
bei Patienten(gruppen) solche Veränderungen
ten von Placebo-Effekten bedeute, dass der Pa-
tatsächlich beobachtet wurden, ist die Gleich-
tient sich die Krankheit nur „eingebildet“ habe.
setzung dieser Veränderungen mit einem Place-
Diese Einschätzung ist leicht erkennbar als Re-
bo-Effekt problematisch und ohne vorhergehen-
likt aus dem 12. Jahrhundert übrig geblieben
de Definition dieses Effekts jedenfalls unbefrie-
und äußert sich schon allein in der Formulie-
digend. Leider gerät man jedoch bei dem Ver-
rung, dass es sich bei beobachteten günstigen
such einer Definition in äußerst schwierige
Veränderungen bei Patienten „nur“ um einen
Probleme. Wenden wir uns zunächst dem Be-
griff Placebo zu und betrachten eine Reihe bis-
Die Wahrheit sieht ganz anders aus. Placebo-
Therapien führen zur Schmerzfreiheit von Pati-
Beecher2 hat in seiner klassischen Arbeit folgen-
enten, sei es bei Angina pectoris, bei Kopf-
de Definition gegeben: „A placebo is a pharma-
schmerzen oder nach Operationen. Von Einbil-
cologic inert substance“. Fast alles an dieser De-
dung wird man hier kaum sprechen können.
finition ist problematisch. Wenn man ein Place-
Noch klarer wird dies, wenn durch „objektive“
bo als einen Einflussfaktor bezeichnet, der zu ei-
Methoden beobachtet werden kann, was nach
nem Placebo-Effekt beiträgt, so kann man die
einer Placebogabe geschieht. In der so genann-
Definition zweifellos nicht nur auf Substanzen
ten CAPS-Studie26 wurde bei Patienten, bei de-
beschränken. Der Geruch einer Arztpraxis oder
nen nach einem Herzinfarkt im Langzeit-EKG
die sichtbaren Narben nach einer Operation
schwerwiegende, prognostisch ungünstige Herz-
können genauso als Placebos wirken. Hieraus
rhythmusstörungen aufgetreten waren, eine
ergibt sich unmittelbar, dass auch die Einen-
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gung auf eine pharmakologische Betrachtung
Patientin/einen Patienten ein Symptom oder ei-
nicht angemessen ist. Schließlich kann man fra-
ne Krankheit eingesetzt wird, aber die, ohne
gen, ob es sich, falls man die Betrachtungsweise
dass Patient(in) oder Therapeut(in) es wissen,
auf die Pharmakologie fokussiert, bei einem Pla-
ohne spezifische Wirkung auf die behandelte
cebo tatsächlich um eine pharmakologisch
„inerte“, d. h. träge Substanz handeln muss,
Auch hier liegt ein wesentliches Problem in
denn als Placebo wird häufig auch ein pharma-
dem Begriff „spezifisch“ 21,25, der auch in diesen
kologisch aktives Präparat in einer falschen In-
Ausführungen schon mehrfach benutzt wurde.
dikation oder zu niedrigen Dosierung angese-
Wieder fallen einem schnell beunruhigende
hen, z. B. ein Antibiotikum bei einer viralen In-
> Ist die Farbe einer Pille unspezifisch? Selbst
Die Definition von Habermann8 lautet: „Ein
Placebo ist die psychosoziale (im Gegensatz zur
sein sollte, so sind, wie oben dargestellt, die
‘stofflichen’) Botschaft“. Auch hier fällt die, sich
Wirkungen roter Pillen eben anders als die
allerdings durch die gesamte Placebo-Literatur
von blauen. Die Farbe ist, farbpsychologisch
ziehende, starke Fokussierung auf die Pharma-
kologie auf. Neben der schon zur Definition von
> Ist die Gabe von Kochsalz eine unspezifische
Beecher geäußerten Kritik würde aber mit die-
ser Definition außerdem jede Form von bewuss-
Therapie? Man muss ja feststellen, dass durch
ter psychischer Beeinflussung, also etwa jede
Psychotherapie oder die gesamte „sprechende“
oder beseitigt werden können, und dass diese
Medizin, als Placebo bezeichnet werden müssen,
Schmerzlinderung vermutlich durch spezifi-
was nicht sinnvoll ist und möglicherweise auch
gar nicht in der Absicht von Habermann liegt.
Ist Aspirin ein spezifisches Medikament? Die
handlung, die in der Absicht benutzt wird, um
bekannten Wirkungen sind schmerzstillend,
eine unspezifische psychologische oder psycho-
physiologische Wirkung zu erzielen“. Nach ei-
ner solchen Definition müssten quasi alle Arzt-
mene Tablette entfaltet dabei auch gerin-
Patienten-Interaktionen als Placebos definiert
werden, ganz abgesehen davon, dass die Defini-
für den schmerzlindernden Effekt verantwort-
tion sich auf einen neuen nicht definierten Be-
griff („unspezifisch“) stützt und man sich fragen
Diese Fragen sind deshalb beunruhigend, weil
muss, ob ein Placebo erst zu einem solchen wird, sie nahe legen, dass es eine umfassende Positiv-
wenn bestimmte Absichten bezüglich seines
definition des Placebos nicht geben kann7,18,21.
Man mag zwar in einer klinischen Studie die zu
Wie exemplarisch gezeigt, lassen sich zu jeder
Vergleichszwecken angefertigte blaue Tablette
bisher vorgelegten Definition - und es gibt min-
ohne Wirkstoff als Placebo bezeichnen und
destens 50 weitere - Fragen formulieren und
kann so vielleicht auch in anderen Situationen
Gegebenheiten aufzeigen, unter denen diese
operational verfahren, eine allgemein gültige
Definition unsinnig oder unvollständig wird.
Definition eines Placebos, die alle Eigenschaften
Der wohl bekannteste und sorgfältigste Versuch
eines Placebos enthält, ist dies jedoch nicht. Sie
einer Definition stammt von Shapiro23,24: „Ein
Placebo ist jede Therapie, die wohlüberlegt und
Weitere Überlegungen führen mich zu der The-
wissentlich wegen ihrer unspezifischen oder psy-
se, dass der Placebo-Begriff außerhalb verglei-
cho-physiologischen Wirkung benutzt wird,
chender klinischer Studien überhaupt keinen
oder die unbewusst wegen ihrer vermuteten
Sinn macht. Bei der Gabe einer als Placebo be-
oder geglaubten spezifischen Wirkung auf eine
zeichneten Therapie in der medizinischen Pra-
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AS IST ist es z. B. in allen klini- PLACEBO Begleittherapien mehr ? siert in beiden Patien-
gen Effekt erwartet oder sogar, weil die Nutzen-
Schaden-Abwägung gegenüber anderen Thera-
je nach Indikation sogar ausdrücklich zu unter-
pien zugunsten des Placebos ausfällt. Für beide
stützen oder zu fordern. Man wird einen in der
Argumente braucht man jedoch den Begriff Pla-
Vergleichsgruppe beobachteten Effekt damit
cebo nicht. Es geht vielmehr immer nur darum,
schwerlich einem zusätzlich gegebenen Placebo
in einer bestimmten Entscheidungssituation ei-
als „Placebo-Effekt“ und damit als psychosozial
ne gut definierte Therapiemodalität - auch
zuschreiben können, denn bei den auch in die-
Nichtstun gehört dazu - in den Kanon aller an-
ser Gruppe gegebenen Begleittherapien handelt
deren möglichen Optionen einzuordnen und ei-
es sich unter Umständen um unbestritten wirk-
ne Abwägung zu treffen. Ein Kriterium, (eine)
bestimmte Therapiemodalität(en) dabei als
same Behandlungen. Wenn also das Placebo als
„Placebo“ zu bezeichnen, gibt es nicht, immer nur psychosoziale Botschaft verstanden werden soll,
ein „schlechter als“ oder „besser als“ gegenüber
so ist die in einer Placebogruppe beobachtete
Veränderung keineswegs Ausdruck dieser Bot-
schaft und sollte daher auch nicht Placebo-Ef-
Der Begriff „Placebo“ in klinischen Studien
Die Definition eines Placebos macht nur für
vergleichende klinische Studien Sinn. Nach
Scheitern aller Versuche einer Positivdefinition
1995 wurde von G. Kienle eine Monographie
scheint es hier sinnvoll, eine Definition im Sin-
vorgelegt, in der die Autorin bestreitet, dass die
Existenz des „so genannten“ Placebo-Effekts
überhaupt nachgewiesen sei14. Sie argumentiert,
„Der Begriff ‘Placebo’ beschreibt in einer kon-
dass für den Nachweis eines Placebo-Effekts ers-
trollierten Studie alle Einflussgrößen, die (wün-
tens ein Placebo gegeben worden sein muss und
schenswerte) Veränderungen eines Patienten-
zweitens ein beobachteter Effekt tatsächlich der
merkmals nach sich ziehen, mit Ausnahme der
Effekt dieses applizierten Placebos sein muss. Es
in dieser Studie zu prüfenden Therapiekompo-
ist G. Kienle zwar zuzustimmen, dass der Begriff
Placebo-Effekt unglücklich ist. Eine Formulie-
In diesem Zusammenhang offenbart dann auch
rung wie: „Der Effekt des Placebos meint die
eine Definition mit „stofflichen“ und „psychoso-
Befindensänderung des Patienten nach Placebo-
zialen“ Effekten oder Botschaften, die auf den
gabe“ 19 steht in klarem Widerspruch zur Defini-
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tion von anderen Behandlungseffekten, nämlich
Verlauf, einige bessern sich auch nach länge-
kausalen, nicht nur zeitlichen Zusammenhän-
rem Verlauf oder heilen aus, wie die meisten
Wenn G. Kienle allerdings behauptet, dass Pla-
3. Günstige Einflüsse, die auf die Person des Be-
cebo-Effekte nicht nachgewiesen seien, so gilt
handlers, die Art der angewandten Prozedur
das nur für Effekte nach ihrer eigenen Definiti-
on. Die beiden genannten Bedingungen sind je-
doch unerfüllbar, womit der Placebo-Effekt qua-
si „wegdefiniert“ wurde. Die erste Bedingung ist
4. Begleitende Maßnahmen (z. B. Bettruhe)
deshalb nicht zu erfüllen, weil das Placebo nicht
allgemein - und damit im Zweifelsfall nie zur Be-
zu einem Placebo-Effekt in der hier verwen-
friedigung Kienles - zu definieren ist. Die zweite
Bedingung ist nicht zu erfüllen, da bisher kein
5. Schließlich sind auch alle Effekte, die auf psy-
Forschungsinstrument bekannt ist und auch
chosoziale Verhaltensänderungen der Patien-
von Kienle nicht angegeben wurde, mit dem der
ten als „Versuchsperson“ zurückzuführen
Effekt eines mutmaßlichen Placebos in ihrer
sind, in diesen Placebo-Effekt zu integrieren.
Definition denn isoliert werden könnte. Abge-
Bekannt ist hier der Hawthorne-Effekt, d. h.
sehen davon, dass auch hier wieder Definitions-
probleme des Placebos relevant werden, bietet
wissen, dass sie Mitglied einer Versuchsgrup-
sich als Vorgehensweise der Vergleich mit einer
unbehandelten Kontrollgruppe an. Es gibt zur-
zeit allerdings keine Vorschläge, wie aus solchen Welche dieser vielfältigen Faktoren in einer be-
Vergleichen Störeffekte zuverlässig eliminiert
stimmten klinischen Studie in welchem Aus-
werden könnten, die es eben verhindern, beob-
maß wirken und in welchem Verhältnis diese
achtete Effekte in der Placebo-Gruppe wirklich
unterschiedlichen Auswirkungen jeweils stehen,
der Placebo-Gabe zuzuschreiben (eine Verblin-
ist sehr schwierig und nur mit ausgeklügelten
dung kommt z. B. nicht in Frage). Ob dieses
methodischen Instrumenten zu ermitteln. Ohne
Problem überhaupt lösbar ist, ist zweifelhaft und
dass dies ausdrücklich gesagt wird, scheint meist
der auf die Komponente drei zurückzuführende
Der Begriff „Placebo-Effekt“ könnte am ehesten
Effekt als der eigentliche „Placebo-Effekt“ ange-
durch „kontextabhängige Veränderungen“
sehen zu werden. Selbst wenn man dies in einer
übersetzt (oder in Zukunft: ersetzt?) werden,
allgemeingültigen Definition befriedigend festle-
was keine spezifischen kausalen Beziehungen re- gen könnte, was ich bezweifle, so muss zweierlei
klamiert und damit das Problem des Begriffs
„Effekt“ umgeht. Ein Placebo-Effekt nach dieser
(a) Diesen Teilaspekt von allen übrigen Kompo-
Definition setzt sich demnach aus mindestens
folgenden Komponenten zusammen (vgl. auch6):
experimentellen Labors unter extrem sorg-
1. Einem statistischen Phänomen, welches man
fältig kontrollierten Versuchsbedingungen
als „Regression to the mean“ bezeichnet. Es
möglich sein, in der klinischen Therapiefor-
bedeutet, dass nach einem extremen klini-
schung ist dies undenkbar. Die vergleichs-
schen Befund, z. B. einem hohen Blutdruck-
weise sehr kleine Zahl von Studien, die sich
wert, auch ohne Therapie eher wieder nor-
mit der Isolierung dieses Effektes beschäfti-
malere Werte folgen als noch extremere. Es
gen, macht das Problem drastisch deutlich.
gibt Untersuchungen, die nahe legen, dass
Den „Placebo-Effekt“ in dieser auf Punkt
dieser statistische Effekt ein ganz wesentli-
drei eingeengten Definition wird man nicht
cher Bestandteil des so genannten Placebo-
(b) Für die Wirksamkeitsbeurteilung von The-
2. Dem Spontanverlauf der Erkrankung. Viele
schen zwei unterschiedlich behandelten Pa-
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für den Therapieerfolg mutmaßlich rele-
rapien unterscheidet. Dies kann z. B.
1999 Hochschuldozent und stellv. Lei-ter der Abteilung für Medizinische Bio-
metrie an der Universität Heidelberg.
Diagnose- und Therapiestudien, zur Bewertung un-
on, eine bestimmte, theoriegeleitete Art der Ge-
konventioneller medizinischer Verfahren und zu Ar-
sprächsführung u. v. a. m. Diese Festlegung im-
gumentationsstrukturen in diesem Gebiet. Seit 1999
pliziert, dass man ohne Beachtung dieser Kom-
Leiter des Fachbereichs evidenzbasierte Medizin
ponenten nicht zum gleichen Therapieerfolg ge-
und seit Juli 2004 leitender Arzt und stellv. Ge-
langen würde wie bei deren Anwendung. In ei-
schäftsführer beim Medizinischen Dienst der Spit-
ner vergleichenden Studie werden daraufhin
zenverbände der Krankenkassen (MDS), Essen.
zwei Therapiemodalitäten miteinander vergli-
tientengruppen. Für diesen Vergleich ist die
chen, nämlich eine Vorgehensweise ohne und
Unterteilung einer Veränderung in der Kon- eine Vorgehensweise mit dieser Komponente.
trollgruppe in die verschiedenen Teilkom-
Sollte sich als Ergebnis solcher Studien heraus-
stellen, dass die Vorgehensweise unter Hinzu-
damit auch eine genaue Placebo-Definition
nahme der fraglichen Komponente besser ab-
nicht von Belang. Die reklamierte „Bedeu-
schneidet als die Kontrollgruppe, so ist der Schluss
tung für die klinische Forschung“10 besteht
auf die Wirksamkeit dieser Therapie begründet,
nicht und die zahllosen Verweise auf die Ar-
eventuell ihre Bezahlung gerechtfertigt und es
beit von G. Kienle, mit denen H. Kiene sei-
besteht sogar ein gewisses Indiz für die hinter ihr
stehende Theorie. Zeigt sich in solchen Unter-
der Therapieevaluierung zu begründen ver-
suchungen aber kein Unterschied zwischen den
sucht (z. B.12), sind daher nicht hilfreich.
beiden Therapiegruppen, so ist die Interpretati-
on zulässig, dass die für den Erfolg dieser Thera-
Die hier als Placebo-Effekt bezeichnete Verän-
pie für notwendig gehaltene(n) Komponente(n)
derung lässt sich fast überall finden. Sie setzt
eben nicht notwendig ist (sind). Daraus folgt,
sich dann immer aus mindestens einer der Kom- dass diese Therapie durch ein Vorgehen ohne
ponenten zusammen. Diese Veränderung ist
die fragliche Komponente ersetzt werden kann,
selbstverständlich nicht auf „Placebos“ be-
also durch andere (einfachere, kostengünstigere
schränkt und ist genauso bei jeder medikamen-
usw.) Behandlungen. Außerdem legt ein solches
tösen, operativen oder anderen medizinischen
Ergebnis nahe, dass die Theorie, die diese The-
Maßnahme anzutreffen. Insofern ist es wichtig,
rapiekomponente begründet hat, vermutlich
festzustellen, dass jede Therapie auch einen Pla-
cebo-Effekt haben kann, dessen Anteil zwischen
null Prozent und 100 Prozent des gesamten Ef-
Literatur beim Verfasser oder im Internet unter
fektes beträgt. Im Gegensatz zu einem weit ver-
breiteten Missverständnis gibt es diese Verände-
rungen natürlich auch bei Kleinkindern oder
Mit freundlicher Nachdruckgenehmigung der Zeit-
schrift für Wissenschaft und kritisches Denken
Es soll zum Abschluss noch einmal herausge-
stellt werden, welche Rolle der Placebo-Effekt
Prof. Dr. Jürgen Windeler, Medizinischer Dienst der
in der Wirksamkeitsbeurteilung von Therapien
Spitzenverbände (MDS), Lützowstraße 53, 45141 Es-
spielt. Die Aussage über eine Therapie und ih-
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Gombás fertôzések (candidiasis) SZILLER ISTVÁN DR.1, SIMON GYULA DR.2 Semmelweis Egyetem, I. sz. Szülészeti és Nôgyógyászati Klinika1, Nemikórtani és Bôronkológiai Klinika 2, Budapest A BETEGSÉG MEGHATÁROZÁSA A nôi nemi szervek sar jad zó- he tô azok aránya, akikben ez még 2-3-szor ismétlôdik. A legki-gom bák okozta fertôzését szeméremtest-hüvelyi candidiasisnak
Neurobiology of Learning and Memory 71, 194 –206 (1999) Article ID nlme.1998.3864, available online at http://www.idealibrary.com on Implications for Altered Neural Plasticity Department of Pharmacology, College of Medicine, University of Kentucky, Alterations in N -methyl-D-aspartate receptor (NMDAR)-dependent synaptic plas-ticity, characteristic of aged rodents, may contribute to im